Buchempfehlung "Bad Pharma"

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antonsafer
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Buchempfehlung "Bad Pharma"

von antonsafer am 17.01.2013 18:29

Sehr empfehlenswert ist ein neues Buch vom Mediziner und Wissenschaftsjournalisten  Ben Goldacre: "Bad Pharma".

Kommt etwa in die Ecke der Kritik, die ich bereits in den vergangenen Jahren z.T auf Basis der gleichen Studien in Vorträgen geäußert hatte; nur viel ausführlicher, und akribisch dokumentiert:

  • Selektive Veröffentlichung der "positiven" Studienergebnisse, Nicht-Veröffentlichung der "negativen" Studien
  • Übertrieben positive "Ergebnisfrisur" und Wertung von Therapieergebnissen, nicht zuletzt durch statistische Manipulationen, die selbst für Fachleute oft schwer nachzuweisen sind
  • Unterdrückung oder manipulatives "Verkleinern" der Nebenwirkungen
  • Prüfen gegen Placebo statt gegen den "Goldstandard" der Therapie bzw, die vermutlich "beste" Therapieoption
  • Zu kurze Beobachtungsdauern, so dass langfristig auftretende Nebenwirkungen nicht oder in zu geringem Umfang beobachtet werden können
  • Verschanzen hinter "Richtlinien", um sich der Untersuchung kritischer Fragen zu entziehen
  • Die Studiendurchführung unter GLP/GCP-Bedingungen wird in der Öffentlichkeit als Beleg für die Seriosität und wissenschaftliche Korrektheit einer Studie verkauft, obwohl dies gar nichts mit der INHALTLICHEN wissenschaftlichen Qualität der Studie zu tun hat [GLP="good laboratory practice"; GCP="good clinical practice"]
  • Geheimhaltung wichtiger Dokumente, die für eine Nachvollziehbarkeit der Studie nötig wäre, zB Studienplan (Ausgangsdokument, und alle Änderungen)
  • Geheimhaltung der Rohdaten, so dass statistische Berechnungen nicht nachvollziehbar sind 
  • Under-cover Autorenschaft der Pharmafirmen, nach außen hin scheinbar "neutrale" AutorenschaftNegieren bzw
  • Verschweigen von Interessenkonflikten
  • Bindung von Fachleuten an Industrie und Genehmigungsbehörden durch den "Drehtüreffekt" (zB Industrie->Behörde->Industrie->Wissenschaft)
  • Sponsoring von Forschung durch Industrieunternehmen; damit direkter oder indirekter Verlust der Unabhängigkeit
  • Einflussnahme von Industrie-abhängigen Wissenschaftler auf Regulatoren (Gesetzgeber, Behörden) und Richtlinien (zB, ärztliche Guidelines)
  • Neu für mich war: Ankauf von Verlagen bzw Redaktionen durch Pharmafirmen
  • u. v.. a.

Das Buch argumentiert recht sauber, gibt viele überzeugende Beispiele an
Wird dennoch kaum etwas bewirken, zumindest in D.
Korruption im Medizinwesen ist weitestgehend nicht strafbar bzw. ohne Sanktionsdrohung.

Die Chemiefirmen als Pestizidproduzenten sind ja teilweise identisch mit Pharmaherstellern, und so ist es kaum verwunderlich, dass sich diese Industrien der gleichen Strategien bedienen. Eine sehr erhellende Lektüre für alle die gut Englisch können. Als Zugabe noch mit dem so vergnüglichen britischen Humor gewürzt, ohne dass die Inhalte darunter leiden.

Deutsche Übersetzung gibt es noch nicht. Für diejenigen, die etwas Methodisch-kritisches brauchen: Vom gleichen Autor gibt es schon das Buch "Bad Science", das auf Deutsch erhältlich ist. Der (unzutreffende) Titel: "Die Wissenschaftslüge". Leider wurde der britische Humor von der Übersetzung getilgt ... trotzdem dehr lehrreich.

MfG

Anton Safer

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kuddel

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Re: Buchempfehlung "Bad Pharma"

von kuddel am 17.01.2013 19:15

Hallo Anton,
Du schreibst: 

 Das Buch argumentiert recht sauber, gibt viele überzeugende Beispiele an
Wird dennoch kaum etwas bewirken, zumindest in D.

Ich war bis vor einigen Tagen der gleichen Meinung. Aber nach den Turbulenzen zu den Neonics in diesen Tagen bin ich doch etwas optimistischer. Dieses Eingeständnis der Efsa kommt doch nicht von der Institution selbst sondern nur durch die Vielzahl der Kritiker, wie auch wir es sind zustande.
Deshalb sollten wir doch ein klein wenig stolz sein und an Veränderungen glauben !

mfg
hartmut 

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antonsafer
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Re: Buchempfehlung "Bad Pharma"

von antonsafer am 17.01.2013 22:35

Das weiss ich doch recht gut.

Ein erfolgreicher Motor und Mitstreiter an diesem erzwungenen Umkehrpunkt zu Neonics ist Henk Tennekes, der sich massivst für diesen Meinungswechsel bei der EFSA eingesetzt hat, auch die Initiative im Europaparlament mit angestossen hat. Es hat ihn unglaubliche Kraft gekostet, aber jetzt zahl er die Rechnung dafür: er bekommt keine Aufträge mehr als selbständiger Toxikologe. Mutmaßlich hat ihn die chemische Industrie auf eine "schwarze Liste" gesetzt.

Über die neue Gefahrenbewertung der Neonics freue ich mich selbstverständlich, aber die Sache ist noch nicht ausgestanden. Die chemische Industrie, die Saatgutkonzerne, die "Biosprit"-Hersteller, der "Bauernverband" - alle fahren jetzt schwere Geschütze auf. Dieser "Krieg" ist längst noch nicht entschieden. Wart´s mal ab!

Meine Skepsis im Feld der Medizin rührt daher, dass ich selbst 36 Jahre in einem Pharmakonzern gearbeitet habe, und das Umfeld recht gut kenne. Der Medizin-Sektor wälzt allein in D 3-stellige Milliardensummen um, und hat daher ein großes Korruptionspotential. Ob Krankenhaus (zB Transplantationsskandale), Niedergelassene (teilweise Annahme von Zahlungen aus der Pharmabranche für verordnungen), Pflegeindustrie (Abrechnungsbetrug), überall findest Du marode gesellschaftliche Zustände.

Zum Glück gibt´s ja auch von ärztlicher Seite kritische Gegenbewegungen:
http://www.neurologyfirst.de/nachrichten.php#4
(berichtet u.a, dass es "Bad Pharma" bald auf Deutsch geben wird)

Also bleibe ich ein optimistischer Pessimist, und versuche das Unmögliche!
Alleine, aber noch lieber mit Mitstreitern/innen.

LG
Anton

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